„An jedem Eck a Gaudi“ – das Valentin-Karlstadt-Musäum
„Kunst kommt von können, nicht von wollen. Sonst müsste es ja Wunst heißen“ – Das gleich mal vorab als Kostprobe valentinesker Logik. Gekonnt hat Karl Valentin viel - er der Stückeschreiber, Wortakrobat, Schauspieler, Handwerker, Filmemacher… Davon kann man sich im Münchner Valentin-Karlstadt-Musäum im Isartor überzeugen. Ihm und seiner kongenialen Partnerin Liesl Karlstadt ist dort eine Dauerausstellung gewidmet. Geleitet wird das Musäum von Sabine Rinberger.
Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach
Besucher des Musäums sollten sich auf besondere Öffnungszeiten und Eintrittspreise einstellen. Es ist ratsam, Cent-Stückerl in der Börse zu haben, sonst wird’s mit der Bezahlung etwas kompliziert. Schön ist, daß Kinder unter sechs und 99jährige freien Eintritt haben. Aber man beachte: nur in Begleitung ihrer Eltern. Eines Tages „sah sich der Hungerkünstler von der vergnügungssüchtigen Menge verlassen, die lieber zu anderen Schaustellungen strömte“, heißt es in Kafkas Parabel „Der Hungerkünstler“ über das plötzliche Desinteresse der Menschen an dessen Kunst. Ähnlich sollte es Karl Valentin später in seinem Leben auch einmal ergehen. Um 1908 aber feierte er mit der Figur des Skelett-Gigerl die ersten Erfolge seiner Karriere. Seine klapperdürre Gestalt – knapp fünfzig Kilo bei 1,80 Meter Körpergröße – zwängte er in ein hautenges Kostüm und machte sie damit zu seinem Markenzeichen. Als lebende Karikatur war allein schon sein Anblick eine Riesengaudi. Wenn er dann noch als Lorelei verkleidet seinen schrägen Singsang mit der Leier begleitete oder gegen tückisch eigensinnige Gegenstände kämpfte, sich in der Sprache verhedderte, seine verquer-tiefsinnigen Gedanken wortakrobatisch von sich gab, hielt sich sein Publikum vor Lachen die Bäuche. 1911 lernt Valentin die spätere Liesl Karlstadt im Gasthaus „Frankfurter Hof“ kennen. Die Textilverkäuferin Elisabeth Wellano verdingte sich dort abends als Soubrette. Valentin bescheinigte dem Fräulein unverblümt, daß sie für dieses Metier nicht tauge. Schon wegen ihrer mangelnden Oberweite und ausschauen tät‘ sie sowieso wie ein Kommunionmäderl. Sie müsse ins komische Fach wechseln. Ab 1913 dann die ersten gemeinsamen Auftritte. Möglichkeiten dafür boten sich dem neuen Duo damals zuhauf. Überall in den Vororten schossen in den Wirtshäusern die sog. „Brettl-Bühnen“ aus dem Boden (Über die Münchner Volkssänger-Szene informiert eine Sonderausstellung im Nordturm des Museums). Die Einwohnerzahl Münchens hatte sich in den Jahren 1840 bis 1910 von rund 80.000 auf nahezu 600.000 erhöht. Vor allem junge, unternehmungslustige Tagelöhner aus den Elendsvierteln suchten nach harter Arbeit Ablenkung. Deftig-kritische Lieder gegen die da oben, gegen soziale Ungerechtigkeiten und vor allem was zum Lachen kam da gerade recht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Valentins Kunst nicht mehr gefragt
Mitte der 20er bis 30er Jahre feierte das Duo Valentin-Karlstadt seine ganz großen Erfolge. Sogar in Berlin und Zürich. Wenn nur Valentins Reiseangst nicht gewesen wäre! Draußen in der Welt hätte wohl noch Größeres aus den beiden werden können. Die politischen Ereignisse der späten 30er und der 40er Jahre ließen Valentins Kunst jedoch aus der Zeit fallen. Insbesondere der 2. Weltkrieg verdarb die Lust am Klamauk und Spiel.
„Aufhören! Schluß da herinna. Draußen sterben d’Leut und mir machen Krampf“, soll Valentin damals eine seiner Vorstellungen abgebrochen haben. Nach 1945 jedoch versuchte das Duo Valentin-Karlstadt nochmal loszulegen. In den grauen Trümmerjahren der Nachkriegszeit wollte das Publikum aber keine sarkastisch-hintersinnige Kunst mehr, sondern Unterhaltung sollte harmlos sein, lustig und was fürs Herz. Wie der Hungerkünstler aus Kafkas Parabel hatte Valentin mit einem Mal ausgedient. Am 9. Februar 1948 – es war sinnigerweise ein Rosenmontag – starb er völlig unterernährt an einer Lungenentzündung. Das offizielle München war bei seiner Beerdigung nicht anwesend. Auch an seinem Nachlaß zeigte die Stadt keinerlei Interesse. Dem Kölner Theaterwissenschaftler Carl Niessen war das Kuriosensammelsurium des Münchner Künstlers wenigstens 7.000 Mark wert. Seit der Zeit sind die meisten Originale bei „die Preissn“. Das wäre es dann eigentlich gewesen mit einem Valentin-Museum in München. Aber zum Glück gab es doch einen rührigen Münchner. Hannes König sammelte alles, was von Valentin noch zu kriegen war. Ergänzt wurde das im Laufe der Zeit durch Reproduktionen des Original-Nachlasses aus Köln, durch Exponate aus dem Münchner Stadtarchiv u.a. So verfügt die heutige Dauerausstellung immerhin über rund 500 Objekte. 1959 öffnete das erste Valentin-Musäum seine Pforten, zwar als privater Betrieb, aber immerhin in einer städtischen Liegenschaft. Im Sinne Valentins muß man sagen: Liegen tat die nicht, sondern sie stand. Als Turm. Es war zunächst der Südturm des teilweise noch kriegszerstörten Isartors. Nach dessen Sanierung 1971/72 konnte auch der Nordturm bezogen werden.
… brauchbare Patienten
Seit 2004 leitet Sabine Rinberger das Museum, das am 1. Januar 2018 von der Stadt München übernommen wurde. Rinberger war es auch, die das neue Ausstellungskonzept von 2008 kuratierte. Offene kreisförmige Stellwände versprechen „an jedem Eck a Gaudi“. Deren Anordnung strukturieren die Hauptstränge des Rundgangs. Der innere Kreis widmet sich dem Privatleben und versucht zusammenzutragen, wie aus Valentin Ludwig Fey jener
Karl Valentin wurde. Von hinten betrachtet zeigen die Stellwände Karl Valentin von ganz anderen Seiten. Wer weiß etwa schon, daß er auch ein leidenschaftlicher Sammler war? Mit seiner Überzeugung „A oids Buidl von München is mehra wert ois a Brillant“ trug Valentin unermüdlich alte Münchner Stadtansichten aus den Jahren 1855 bis 1912 zusammen. „Mit solchen Eltern kann man schon was riskieren“, lautet ein Motto des inneren Kreises. Ganz sicher war der„rothaarate Fey-Batzi“ aus der Au nach dem Tod dreier Geschwister ein behüteter Bub, dem der hessische Vater und die sächsische Mutter vieles durchgehen ließen. Aber auch die Originale der Auer Arbeiter- und Handwerker-Vorstadt müssen wohl prägend gewesen sein, gab es da doch so skurrile Gestalten wie den narrischen Maxl, der dauer-alkoholisiert mit seinem selbstgebastelten Dreirad in der Gegend rumkurvte, oder die bösartige Bettlerin „Anni Hupf“, die in der Wut schon mal ihr Holzbein als Wurfgeschoss verwendete. Valentin selbst wurde zum Schrecken der anderen Kinder. Ihre Angst war nicht unbegründet, denn einen gewissen Hang zum Sadismus, den er später künstlerisch auch gerne auslebte, zeigte er schon als Bub. Etwa beim Sanitäterspiel. Echt sollte es sein. Kurzerhand verstreute der „Fey-Batzi“ Glasscherben auf der Wiese. Die Nachbarskinder, meist barfuß, holten sich blutige Füße und wurden so zu brauchbaren Patienten. Entlang der Außenwand der Ausstellung nehmen die Informationen über Valentins Künstlerexistenz etwa diesen Faden seiner Kindheit auf. 1934 – mit der Eröffnung seines Panoptikums, einem Grusel- und Lachkeller, konnte er jenen Zug voll ausleben. Mit Wachsfiguren nachgestellte Folterszenen, eine Guillotine mit Geköpftem waren dort ebenso zu finden wie Harmloses. Etwa ein Einmachglas voll Beamtenschweiß. „Sehr selten“ läßt das Etikett den Museumsbesucher noch heute wissen. Zu besichtigen ist auch der „berühmte Nagel“, an den Valentin den von ihm erlernten Schreinerberuf hängte. Aber die biographische Leitlinie zeigt auch den musikalisch hochbegabten Buben Valentin. Vor allem seine Zither liebte er über alles. Ein Instrument, bei dem man sich als Anfänger erstmal an den scharfschneidigen Saiten blutige Fingerspitzen holt. Später brachte er sich noch rund fünfzehn weitere Instrumente autodidaktisch bei.
Sein Orchestrion zerhackelte er
Der maßlose Tüftler in ihm gab keine Ruhe. Es mußte doch möglich sein, all diese Instrumente auf einmal zu spielen. Eine frühe Station seines Künstlerlebens sollte ein mechanisches Monstrum werden: das Orchestrion, mit dem er 1907 noch unter dem Künstlernamen Charles Fey zu reüssieren versuchte. Mangels Erfolg – ein Schicksal, das auch viele seiner späteren Kuriositäten teilten – „zerhackelte“ er es irgendwann voller Wut und Enttäuschung eigenhändig. Seit 2001 wird Liesl Karlstadt endlich die Beachtung geschenkt, die ihr zusteht. Ihr, deren Namen auf Plakaten zuweilen im Kleingedruckten unterging, ist eine Sonderabteilung im 2. Stock des Musäums gewidmet. Ohne Karlstadt wäre der notorische Hypochonder, der von ständiger Unzufriedenheit und Unruhe geplagte Valentin auf der Bühne oft nicht einsatzfähig gewesen. Wie im Sketch, so auch im richtigen Leben verkörperte die Karlstadt das praktische Prinzip, organisierte den Alltag, arrangierte und soufflierte auf der Bühne, denn fast alle Stücke lebten weitgehend von spontaner Improvisation. Meist fungierte sie zudem noch als Koautorin. All das tat sie bis zur Selbstaufgabe. 1935 dann der totale psychische Zusammenbruch, dem viele Sanatoriums-Aufenthalte folgten. Bemerkenswert ist ihre Auszeit als Obergefreiter „Gustav“ in der Funktion eines Muliführers bei den Gebirgsjägern der deutschen Wehrmacht, wo ihr das Leben in den Bergen und mit den Tieren offensichtlich wieder zur seelischen Balance verhalf. Im Gegensatz zu Karl Valentin konnte sie dann in der Nachkriegszeit wieder Fuß fassen. Genau genommen avancierte sie zum ersten
weiblichen Medienstar. Im Fernsehen, im Radio. Zusammen mit Beppo Brem drehte sie in den 50er Jahren etwa den ersten Werbe-Spot für die Waschkraft von Persil. 1960 starb Liesl Karlstadt und wurde auf dem Bogenhausener Friedhof unter großer öffentlicher Anteilnahme beigesetzt. Das Gesamtwerk Valentin-Karlstadt wäre nicht komplett, würde man das multi-mediale Oeuvre aussparen. Der kauzige Valentin war hier echte Avantgarde. Schon geraume Zeit vor Charly Chaplin hatte er das neue Medium Film und dessen künstlerische Möglichkeiten für sich entdeckt. Bereits ab 1912 betrieb Valentin sein eigenes Filmstudio und drehte dort rund vierzig Kurzfilme. Viele dieser Streifen – so bekannte wie „Der Firmling“ oder die u. a. zusammen mit Berthold Brecht produzierten „Mysterien eines Frisiersalons“ – zeigt das Musäum im 2. Stock in Endlosschleife. Hinzu kommen Audio-Stationen und Diaprojektionen. All das lässt die Besucher die große künstlerische Bandbreite des Komiker-Duos quasi live erleben. Ob Valentins Schaffen letztlich surrealistischen oder gar dadaistischen Strömungen zuzurechnen ist, mögen Literaturwissenschaftler entscheiden. Zweifelsohne jedoch hat er seine Spuren bei Sprachskeptikern – und -akrobaten wie Loriot, Gerhard Polt oder Helge Schneider hinterlassen. Am Ende noch ein wichtiger Hinweis für Musäums-Besucher: Bitte das V von Valentin als F aussprechen. Der Künstler bestand persönlich darauf: „Nenn mich nicht Walentin, du nennst doch deinen Vater auch nicht ‚Water‘!“ Oder bittet man etwa seinen Chef um einen Wor-Schuss?!