Die Suche nach dem Meister
Er schuf Holzschnitte für die Schedelsche Weltchronik, seine Büste steht in der Ruhmeshalle in München und Albrecht Dürer ging bei ihm in die Lehre – der Maler Michael Wolgemut hat einen deutlichen Pinselabdruck in Nürnberg hinterlassen. Trotzdem steht er immer noch im Schatten seines berühmten Lehrlings und ist in seinen eigenen Werken nur schwer ausfi ndig zu machen. Zum Jahrestag seines Todes widmen die Museen der Stadt Nürnberg ihm nun eine umfassende Ausstellung und schicken die Besucher auf Spurensuche durch die Stadt.
Text: Juliane Pröll
Auch Genies haben Lehrmeister. So auch Albrecht Dürer, der in seiner Familienchronik über seine Ausbildung schrieb: „Und da man zählte nach Christi Geburt 1486 am St. Andreastag versprach mich mein Vater in die Lehre zu Michel Wolgemut drei Jahre lang ihm zu dienen. In dieser Zeit verlieh mir Gott Fleiß, daß ich gut lernte, aber ich mußte auch viel von seinen Gesellen leiden.“ Dürers Meister Michael Wolgemut feiert dieses Jahr seinen 500. Todestag. Zum Jubiläum richten die Museen der Stadt Nürnberg ihm eine Ausstellung aus. Sie entstand in Kooperation des Albrecht-Dürer-Hauses mit dem Germanischen Nationalmuseum (GNM), der Universitätsbibliothek Erlangen- Nürnberg, dem Museum Tucherschloss sowie sechs Kirchen, die Arbeiten aus der Werkstatt Wolgemuts bergen. „Bei dieser Ausstellung wird der gesamte Stadtraum als Kulturraum begriff en, sozusagen als eine Art Wanderung“, sagt Dr. Benno Baumbauer, Leiter der Ausstellung und Kurator.
Handwerker oder Künstler?
Ein besonderes Highlight findet sich im Albrecht- Dürer-Haus. Das Museum zeigt Zeichnungen und Druckgrafiken der Werkstatt – zur Verfügung gestellt von der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg. Sie werden nur selten ausgestellt, da sie sehr lichtempfindlich sind. Das GNM legt den Schwerpunkt auf den Wettbewerb der Werkstatt mit anderen Künstlern Nürnbergs und zeigt Arbeiten Wolgemuts sowie zeitgenössischer Werkstätten. Im Tucherschloss sind die Porträts von Hans und Ursula Tucher aus der Werkstatt Wolgemuts zu sehen. Es wird vermutet, dass beide Gemälde einst zu einem aufklappbaren Diptychon mit Scharnieren gebunden waren. Ein spezielles Exponat ist laut dem Experten der Peringsdörfer-Altar in der Friedenskirche. Er ist komplett erhalten und mit beeindruckenden Schnitzereien versehen. Bei einer Sonderveranstaltung der Ausstellung wird der Altar vor Publikum gewandelt, also auf- und zugeklappt.
Die Lorenzkirche dagegen behandelt den Kontext der Werke in der Kirche. „Für mich ist die Lorenzkirche sehr bedeutend, weil sie durch die Architektur und Raumwirkung einen authentischen Eindruck vermittelt“, erklärt der Kunsthistoriker. „Hier gibt es noch viele Originale. Darunter auch Werke Wolgemuts.“ Ein fast kompletter Wandelaltar aus der Werkstatt des Dürer-Lehrers, der Katharinenaltar, steht ebenfalls in St. Lorenz. Er gehört zur Original-Einrichtung. Die Holzskulpturen und Gemälde der Altarflügel sind noch ursprünglich erhalten. Der Altaraufsatz wurde früher nur zu bestimmten Festtagen aufgeklappt. „Typisch ist, dass man im Schrein Schnitzfiguren hat, die nicht von Wolgemut gefertigt, aber wahrscheinlich von einem seiner Mitarbeiter farbig gefasst wurden“, erläutert Baumbauer. „Die Flügelgemälde stammen jedoch aus seiner Werkstatt.“ Dass Wolgemut in seinen Werken als Künstler schlecht ausfindig zu machen ist, ist kennzeichnend für die Arbeit seines Betriebes. An einem Werkstück waren viele Mitarbeiter beteiligt. „Es gibt ein paar Werke von Wolgemut, die er auch signiert hat, aber wir wissen nicht genau, welcher von den unterschiedlichen Malstilen seiner Werke derjenige Wolgemuts war“, so der Experte. „Seine Werkstatt war auf Effizienz ausgerichtet. Es ging nicht wie bei Albrecht Dürer darum, dass der große Meister sein Genie zum Ausdruck bringt.“ Ob sich Wolgemut eher als Handwerker oder als Künstler sah, ist nicht überliefert. Die Arbeitsweise seiner Werkstatt scheint aber mehr zur handwerklichen Arbeit zu tendieren.
Komposition mit Lückenbüßer
Eine interessante Geschichte birgt ein eher unscheinbar wirkendes Gemälde in der Kirche, auf dem der Papst mit goldener Tiara und eine ihm folgende Menschentraube aus Geistlichen und Ordensfrauen zu sehen ist. Das Gemälde gehörte zu einem Relief der Muttergottes im Rosenkranz, zusammen mit einem weiteren, nicht mehr erhaltenen Flügel. Das Relief ist im GNM zu sehen und Teil der Wolgemut-Ausstellung. „An dem Beispiel sieht man, wie die Werkstatt gearbeitet hat. Es gibt zwar einen Grundentwurf, aber am Gemälde selbst haben mehrere Leute mitgewirkt“, erklärt der Kurator. Die Figuren blicken zum Großteil nach links, einige von ihnen jedoch schauen in eine andere Richtung. „Ein paar von ihnen sehen aus, als würden sie miteinander kommunizieren“, so Benno Baumbauer. „Aber das überzeugt den Betrachter nicht richtig. Sie schauen sich zwar an, doch die Komposition ist in sich nicht stimmig. Die Figuren wirken eher von einander isoliert.“ Oberhalb des Papstes blickt ein fülliger, unrasierter Mann mit rotem Tuch auf dem Kopf nach rechts anstatt nach links. „Das Witzige an ihm ist, dass er nicht nur in die falsche Richtung schaut, er ist auch kein Geistlicher, sondern trägt ein höfisches Kostüm“, sagt Baumbauer. „Ich habe für diese Figur keine Erklärung. Es könnte sein, dass es ein Lückenbüßer ist, der von einem Mitarbeiter gemalt wurde, der die Aussage des Gemäldes nicht kannte. Vielleicht, weil das Bild schnell fertig werden musste.“ Die Figur taucht auch in weiteren Werken aus Wolgemuts Betrieb auf. Die Werkstatt arbeitete anscheinend mit Musterzeichnungen – „Samples“, wie der Experte sie nennt.
Die detaillierte Landschaft im Hintergrund ist ebenfalls kennzeichnend für Wolgemut. Der Meister arbeitete zusammen mit seinem Stiefsohn auch an Holzschnitten für die Schedelsche Weltchronik mit der berühmten doppelseitigen Stadtansicht Nürnbergs. „Die Landschaften und Stadtansichten begegnen einem immer wieder an den Altären, wie auch bei dieser Landschaft auf dem Gemälde“, so Benno Baumbauer. „Weil sie besonders fein und detailliert gemalt ist, haben Experten in den letzten Jahren darüber diskutiert, ob die Ansicht im Hintergrund nicht Dürer gemalt haben könnte.“ Möglich wäre es. Der Meister bildete Dürer von 1486 bis 1489 in seiner Werkstatt aus. Die Arbeit entstand 1489, innerhalb eines Jahres.
Beeindruckendste Werke in der Lorenzkirche
Wie Wolgemut zu seinem sehr talentierten Auszubildenden stand, ist nicht direkt überliefert. Nur der Eintrag, den Dürer dreißig Jahre nach seiner Ausbildung in der Familienchronik festhält, erzählt etwas über seine Lehrjahre. „Er wurde dort auf jeden Fall gehänselt, vielleicht sogar gemobbt“, führt der Kurator aus. „Das kann natürlich damit zu tun haben, dass er als Übertalent in diese Werkstatt kam und die Mitarbeiter neidisch waren.“ Auch wenn einige Mitarbeiter ihm anscheinend nicht wohl gesonnen waren, schienen der Meister und Dürer ein gutes Verhältnis gehabt zu haben. Albrecht Dürer wollte sogar seinen jüngeren Bruder in Wolgemuts Werkstatt unterbringen. Ein von Dürer gemaltes Porträt von 1516, das im Germanischen Nationalmuseum hängt und ebenfalls im Rahmen der Ausstellung gezeigt wird, stellt einen in Würde gealterten Wolgemut dar. Das Porträt entstand drei Jahre vor dem Tod des Meisters.
Durch die Erforschung der Wolgemut-Werke glauben Baumbauer und seine Kollegen am Altar in Crailsheim ein weiteres Gemälde gefunden zu haben, an dem Dürer mitgewirkt haben könnte. Auf dem Bild „Das Gastmahl des Herodes“ ist der Henker Johannes des Täufers zu sehen. „Dieser Henker sticht aufgrund der Anatomie aus den übrigen Gemälden heraus und hat ähnliche Gesichtszüge wie die frühen Gemälde von Dürer – genauer gesagt wie ‚Christus als Schmerzensmann‘ oder das Porträt von Dürers Mutter“, so Baumbauer. „Das ist aber eine letztlich nicht beweisbare Einschätzung von uns, die noch zu Diskussionen führen wird.“
Drei von Wolgemuts beeindruckendsten Werken sind wohl die großen Buntglasfenster im Chor der Lorenzkirche. Auf dem mittleren Fenster findet sich auch eine der wenigen Wolgemut-Signaturen. In der vierten Fensterzeile, im zweiten Bild von rechts, sitzt Kaiser Heraklius mit einem blauen Mantel auf einem Pferd. Im weißen Mantelsaum sind Buchstaben gemalt. Allerdings steht dort „Wole ut“ anstatt „Wolgemut“. Diese vermeintliche Signatur gibt Rätsel auf. Denn die Inschrift scheint laut dem Ausstellungsleiter original zu sein. Einige Experten sind deshalb der Meinung, das Wort auf dem Fenster könnte auch eine andere Bedeutung haben. Für die Kunsthistoriker bleibt das Thema Wolgemut also weiterhin spannend.