Ausgabe 2/2019 | Zeitgenössische Kunst

Graphik in Draht

Die „Skulptone“ der Bildhauerin Angelika Summa

Text: Eva-Suzanne Bayer | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Manchmal ist ein Beinbruch im rhetorischen Sinne eigentlich keiner, sondern die Gelegenheit, etwas Neues zu beginnen. Wie für die Würzburger Bildhauerin Angelika Summa, 1952 in Bayreuth geboren. Als sie 2013 mit dickem Gips in die Horizontale auf die Couch gezwungen wurde, verfiel sie bald in einen für Künstler oft gedeihlichen Zustand: sie langweilte sich. Aber an große und schwere Plastiken aus Stahl, an das Zusammenschweißen von dicken Röhren, Platten und Drähten – durch die sie mit ihren zahlreichen Ausstellungen in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, sogar in China und Australien bekannt und mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde – war natürlich nicht zu denken. Zum Stillhalten verdammt, besann sie sich auf die uralte Tätigkeit der züchtigen Hausfrau, auf die Handarbeit und gleichzeitig auf die Wurzeln ihres eigenen bildhauerischen Schaff ens. Nach einem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik, das sie mit dem Master abschloss, wechselte sie Anfang der achtziger Jahre von der Theorie in die Praxis und konzentrierte sich auf die Arbeit mit Metall und Draht.

Während sie bei ihren großen Skulpturen natürlich auch auf Hilfsmittel angewiesen ist, die im metallverarbeitenden Gewerbe nun einmal notwendig sind, etwa Schweißgeräte, entstanden von Anfang an die kleineren Plastiken oft nur mit bloßen Händen (ohne Handschuhe!), unterstützt allenfalls von verschiedenen Zangen.

Atlas? Auf jeden Fall eine Titanin.

Luft und Poesie

In ihrem faden Krankenstand besann sich die Künstlerin nun auf die Grundprinzipien ihrer Arbeit: nämlich vielgestaltige Linien zu verbinden, sie zusammenzuführen und zu verknoten und sie nach jedem Knüpfpunkt in eine andere – oder eine gemeinsame – Richtung zu führen. Summa ließ sich Draht besorgen und begann mit dem millimeterdünnen, leichten Werkstoff Fäden zu ziehen und zu kreuzen, zu knüpfen und da, wo sie in ihren großen Skulpturen die Teile mit dem Schweißgerät verband, einen Knoten zu setzen. So wuchs ihr unter der Hand ein netzartiges, transparentes Gespinst von innen nach außen, scheinbar federzart und doch fest und elastisch. Man könnte die Arbeiten auch mit mehrfach übereinander komponierten Spinnennetzen vergleichen, leicht wie der Wind und doch stabiler als alles Menschengeschaffene. Nirgends trifft Pablo Picassos Begriff der „Raumzeichnung“, den er für sein Denkmal für Apollinaire prägte, so gut wie hier, denn auch Summas Arbeiten bestehen ganz aus „Luft und Poesie“.

Skulpton No. 14 (Breite ca. 80 cm)
Skulpton No. 1 (Durchmesser 100 cm)

Wie auch bei ihren großformatigen Skulpturen bevorzugte sie auch in diesen Arbeiten zuerst geometrische Grundformen wie den Kreis und die Kugel, legte im ersten „Skulpton“ (ein Kofferwort aus „Skulptur“ und „Atom“, nach Summas Definition eine Art Grundbaustein, der Gedankenkern ihrer Arbeiten) zwei Kugelformen ineinander, die sich in der Binnenstruktur aus unzähligen kleinen und unregelmäßigen Vier- bzw. Mehrecken zusammensetzen. Die Knüpfpunkte vibrieren wie schwarze Pünktchen in der Struktur, denn das Auge des Betrachters springt, sie fixierend, von einem Pünktchen zum nächsten. Das verleiht der Plastik den Eindruck von lebendiger Bewegung. Die fragile Grundstruktur lässt einerseits an Zellgewebe denken, an Nervenzellen und ihre Verbindungen im Gehirn, an Mikroorganismen, an vegetative Gefüge in der Natur. Andererseits gehört das Material eindeutig der Technik an, ist ein Werkstoff der Industrie. So treffen sich die Gegensätze auch des heutigen Lebens in diesen Gebilden und gehen eine höchst ästhetische, ja geheimnisvolle Symbiose ein.

Skulpton No. 18 (Wandarbeit)
Skulpton No. 9 (Detail)

Chaos pur

Angelika Summa, die immer gern in Serien (z. B. den „Unruhekissen“, den „SinnKugeln“ oder den „Gadgets“) arbeitet und Motive der einen Serie in die andere überträgt, beschäftigte sich natürlich auch nach ihrer Genesung weiter mit dem Thema. In den fast sieben Jahren von 2013 bis heute entstanden unzählige Varianten ihrer Skulptone im Durchmesser von 10 cm bis 1,90 Meter. Sie können auch als Wandarbeiten übereinander montiert werden und krabbeln dann wie ein diff uses, fast glibbrig erscheinendes Gebilde an der Wand entlang in beträchtliche Höhen. Die leicht unregelmäßigen Kugeln (Rundformen), in denen sich ein, zwei oder auch mehr „Zellkerne“ begegnen, sind dabei nur eine Spielart in dieser, bis heute offenen Serie. Bald tasteten sich aus der strengen Silhouette einzelne Drähte wie Tentakeln am Außenrand heraus und auch das Zentrum wurde unruhiger, verunklärte die anfängliche Rundform durch dynamische Stränge und eruptive Wirbel. Das sieht aus, als bräche der Zellkern auseinander und schleudere Energie nicht nur in den äußeren Umkreis, sondern auch hinaus in den Raum, den Betrachterraum. Dann gab es kein Halten mehr. Das gerade noch so geordnete Gespinst verwandelte sich in ein amorphes Gebilde, wie von inneren Kräften bewegt, zerrissen. „Chaos pur“, sagt Angelika Summa. Doch das Chaos hat immer wieder Methode. Einmal kommen die strubbeligen Drähte aus einem Zellkern mit Wabenmustern. Ein anderes Mal umwickelt die Künstlerin einzelne über den Zellkern verlaufende Drahtlinien aus dünnem Draht mit etwas dickeren und stabileren und setzt dadurch in der Innenform Akzente. In manchen Plastiken lackiert sie den Draht auch stellenweise in rostigem Rot oder Schwarz. Das macht die Oberfläche poröser, den Draht selbst aber auch brüchiger. Der Betrachter hat jedoch den Eindruck, als habe eine gewaltige Kraft diese Gebilde wie Steppenhexen über den Boden getrieben und sie in den Innenraum gefegt, von wo sie bei der nächsten Sturmböe wieder weggeblasen werden. Denn diese eigenwilligen Plastiken bestehen fast nur aus Volumen, sind fast ohne jede Masse. Und scheinen nahezu kein Gewicht zu haben.

Die „Skulptone“ sind selbstverständlich nur ein Themenstrang in Angelika Summas vielfältigem Schaffen und inzwischen, längst wieder auf beide Beine gekommen, verfolgt sie ihn als einen unter den zahlreichen anderen Themen ihres Werks. Selbstverständlich kombiniert sie die spezielle Technik der ausschließlichen Handarbeit mit etlichen ihrer anderen Werkgruppen. So findet man „Unruhekissen“ auch unter den „Skulptonen“, strenge und klare Formen wie Rollen und Röhren. Oder sie verbindet in den „Gadget“ (d. h. technische Spielereien) eine Betonplatte mit einer dünnen Edelstahlstele und krönt diese mit Skulpturenköpfen, in diesen Fällen mit einem „Skulpton“.

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich Angelikas Summas Arbeiten, sowohl ihre großformatigen Stahlskulpturen wie die Skulptone als Teile eines Bühnenbildes, sogar als Kostüme vorzustellen. Sie selbst hat schon zahlreiche Performances arrangiert, in denen die Trägerinnen von ihr entworfene und hergestellte metallene Körperskulpturen trugen – und das gänzlich unbeschadet überstanden. Gut, ein bisschen schwerer als Stoffkostüme sind diese Rüstungen schon. Aber Wagners Walküren rennen ja meist nicht wie die Windhunde über die Bühne und irgendwelche in Normen und Zwänge eingekapselte Dramenfiguren zeichnen sich selten durch extreme Körperakrobatik aus. Da läge noch ein weites und für viele Ideen fruchtbares Tätigkeitsfeld für die Künstlerin.

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