Ausgabe 2/2019 | Allgemein

Moderne Technik & historische Mysterien

„Abenteuer Forschung“ – das Germanische Nationalmuseum Nürnberg gewährte einen Einblick in die Forschungsarbeit der vergangenen zwei Jahrzehnte und damit in die verborgenen Geheimnisse der Exponate.

Text: Juliane Pröll
Bildgebende Verfahren machen sichtbar, was das bloße Auge nicht erkennt: Die Blüten dieses Blumenstilllebens wurden einst aus anderen Gemälden ausgeschnitten und neu zu dieser Komposition zusammengefügt – wie die Röntgenaufnahme (linker Bildstreifen Mitte) offenbart.

Mysteriöse Uhren und Stillleben, die Geheimnisse bergen: In einer Ausstellung im vergangenen Jahr drehte sich alles um die Erforschung von Museumsobjekten und darum, wie die Forscher zu dem Wissen kamen, das am Schluss auf der Beschreibungstafel steht. Sie zeigte auch, was sich unter Leitung von Generaldirektor G. Ulrich Großmann in der Forschung am Germanischen Nationalmuseum bewegte, der nach 25 Jahren im Juni 2019 in den Ruhestand ging. „Es war eine Ausstellung von ihm für ihn“, erklärt Kunsthistorikerin und Pressesprecherin Sonja Mißfeldt.

Circa 120 Objekte aus der Dauerausstellung und aus dem Depot sowie vier Leihgaben waren in der Sonderausstellung zu sehen. Zu Beginn wurden die Besucher mit den W-Fragen konfrontiert, die die Wissenschaftler bei der Erforschung eines neuen Objekts umtreiben: Was ist es? Wer hat es hergestellt? Diese und weitere Fragen helfen, die Herstellungsweise sowie den Zweck eines Objekts herauszufinden und es in einen historischen Kontext einzuordnen. Eine runde Scheibe, die aus Marmor zu bestehen scheint, kann z. B. dabei erst einmal aufs Glatteis führen und sich als Lautsprecher aus Kunststoff erweisen. Das verdeutlicht, wie wichtig die eingehende Untersuchung eines Gegenstandes ist. Denn das Äußere kann täuschen.

Superlative

Echt oder Fälschung? Diese Frage stellt sich oft bei den Superlativen. „Bei Museen geht es häufig darum, das Größte, das Älteste oder das Erste zu haben. Hier wollten wir zeigen, dass wir bei uns im Haus kritisch mit solchen Superlativen umgehen“, erläutert Birgit Schübel, die Kunsthistorikerin und Kuratorin der Ausstellung. So fand sich die Henlein-Uhr, die lange als älteste Taschenuhr der Welt galt, in der Sonderausstellung. Im Rahmen eines Forschungsprojektes stießen die Experten auf Ungereimtheiten. Es stellte sich heraus, dass einige Teile nicht aus dem Jahr 1510 stammten, wie eine eingravierte Inschrift angab. Die Uhr war stattdessen im 19. Jahrhundert aus unterschiedlichen Teilen zusammengebaut worden. „Der Aufschrei war groß, aber das Ergebnis hat unserer Uhr nicht sehr geschadet. Die Besucher fanden nämlich die Geschichte dahinter spannend“, so Schübel. Daneben die bisher älteste mittelalterliche Handfeuerwaffe: Sie hat ihr Superlativ verdient, das hat die Forschung bestätigt. Die Schusswaffe stammt aus der Zeit vor 1400.

Zur Erforschung der Exponate nutzen die Mitarbeiter unter anderem kunsttechnologische, bildgebende Verfahren wie Röntgen- und Infrarotaufnahmen. Die Röntgenbilder zeigen, auf welchem Untergrund etwas gemalt ist – zum Beispiel auf Holz oder Leinwand – da sie bis zur untersten Schicht vordringen. Das Infrarotverfahren dagegen durchdringt die obere Malschicht und macht Vorzeichnungen sichtbar. Ein besonderes Objekt in diesem Zusammenhang ist ein Blumenstillleben im Stil der flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts. „Unsere Restauratoren wurden skeptisch, weil das Krakelee für ein auf Holz gemaltes Bild untypisch ist“, sagt Birgit Schübel.

Das Geheimnis der Fäden

Die Forscher untersuchten das Gemälde mit Röntgenstrahlen und stellten fest: zwischen Holz und Ölfarbe befand sich eine Leinwand. Doch noch etwas anderes kam ans Tageslicht: Die einzelnen, auf Leinwand gemalten Blüten waren ausgeschnitten und neu zusammengesetzt worden. Das erkannten die Forscher an den Schuss- und Kettfäden des Gewebes, die je nach Blüte in unterschiedliche Richtungen laufen. Bei einer intakten Leinwand würden die Fäden ein gleichartiges Muster bilden. „Das Bild wurde zusammengesetzt wie ein Patchwork“, sagt Schübel. Eine Infrarotaufnahme brachte noch eine Erkenntnis: Einige Elemente wie Zweige oder Blumenvase waren neu hinzugefügt worden. Ist das Gemälde also ein Original oder eine Fälschung? Hat jemand versucht ein altes, kaputtes Bild zu restaurieren? Die Fälschungstheorie stützt der nachträglich hinzugefügte Namensschriftzug J. van Thielen, der mit UV-Licht auf dem Bild sichtbar wurde. Trotzdem sehen die Experten das Gemälde nicht als Fälschung an. Es handelt sich um ein Pasticcio, eine Neuschöpfung aus alten Elementen. Erst, wenn bei einem Verkauf behauptet würde, das Bild stamme vom bekannten Maler Jan Philipp van Thielen, wäre diese Behauptung eine Täuschung in betrügerischer Absicht. Es ist aber nicht bekannt, ob das Stillleben unter dem Namen des Künstlers als Original-Gemälde verkauft wurde.

Und die Forschung steht nicht still. Der Nürnberger Schembartlauf gilt als Ursprung der Fastnachtsumzüge, wie wir sie heute kennen. Die Schembartbücher – sie waren ebenfalls in der Ausstellung zu sehen – zeigen, wie der Umzug ablief. In einem Forschungsprojekt soll unter anderem näher untersucht werden, wer die Bücher in Auftrag gab und für welchen Zweck. Andere, bereits laufende Projekte beschäftigen sich mit dem Sammeln von „abergläubischen Objekten“ oder mit neuen Methoden zur Vermittlung des Museumserlebnisses. Die neuen Erkenntnisse werden anschließend wieder in Sonderausstellungen gezeigt. So gibt es, dank der Forscher, im Museum immer etwas Neues zu entdecken.

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