Ausgabe 2/2019 | Allgemein

Mia san mia!

Die Welterbe-Stadt Regensburg ist um eine Attraktion reicher. Dort am Ufer der Donau, wo einst im Mittelalter – damals noch außerhalb der Stadtmauern – der Galgen stand, und wo man bis in unsere Tage ganz profan Autos parkte, sind bessere Zeiten angebrochen. Man kann dort jetzt Kultur pur tanken. Im neuen Haus der Bayerischen Geschichte – einem Museum, das sich der Beantwortung der mehr oder weniger weltbewegenden Frage stellt: Was war und ist typisch bayerisch?

Text: Gunda Krüdener-Ackermann | Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Gut hat er’s mal wieder gemeint mit seinen Bayern. Der Herrgott. Denn der weiß-blaue Himmel zur Eröffnung des Hauses der Bayerischen Geschichte am 4. Juni dieses Jahres in Regensburg, der war gratis, direkt von oben.

Damit gab es quasi von höchster Stelle eine Steilvorlage in puncto bayerische Klischees. Bereitwillig hat man die dann gleich bei der Eröffnungsfeier wie auch letztlich in die Gesamtkonzeption des Museums übernommen.

Die bayrischen Könige (von links): Ludwig I., Max II. Joseph, Ludwig II.
Den Schlüssel hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder; anläßlich der feierlichen Eröffnung hat er ihn vom Leiter des Hauses der bayrischen Geschichte, Richard Loibl, überreicht bekommen. Symbolisch! Denn ob er damit wirklich in Gebäude käme, wagen wir zu bezweifeln.

Markus Söder, zwischenzeitlich zum grüngespülten jovialen Landesvater mutiert, bezeichnet in seiner Eröffnungsrede das Museum „als Liebeserklärung an unsere bayerische Heimat“ (Mei, wia liab!). Gerichtet an die dynastischen Restbestände derer von Wittelsbach, die den Feierlichkeiten in der ersten Reihe (wo sonst?) beiwohnen, lobt er mit einem Schmunzeln, die Umsicht bayerischer Herrscher in der Vergangenheit. Immer hätten die es verstanden, – (Was für schlitzohrige Bazis!) – durch „geschicktes Taktieren“ das Beste für ihre Untertanen herauszuholen. Eine quantité négligeable sind dabei offensichtlich jene rund 30 000 Soldaten, die ihr Leben ließen, als sie Napoleons Grande Armée 1812 ins russische Abenteuer folgen mussten. Denn die Gründung des bayerischen Königreichs 1806 von Napoleons Gnaden mit den bekannten Gebietszuwächsen von Schwaben und Franken hatte ihren Preis.

Aber pardon! Wer wollte schon so tief in die Details der bayerischen Geschichte einsteigen? Das vermiest ja die Stimmung und geht entschieden zu weit. … Folgen wir lieber der Leitlinie des Museums, die der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Bernd Sibler in der Trias von „Teddy, Goggomobil und Soldatenhelm“ vorgegeben hat.

Dreißig Minuten für elfhundert Jahre Geschichte

Bevor wir uns aber in die Welt der tausend Exponate auf 2 500 Quadratmetern im Obergeschoss begeben, ist ein Besuch im Erdgeschoss des neuen Museums angesagt. Durch das lichtdurchfl utete Foyer führt kein Weg an ihm vorbei – dem brüllenden Bayerischen Löwen. Wenn er auch als ausrangierte Pappmaché-Figur des Münchner Oktoberfestes sichtbar in die Jahre gekommen ist! Megamodern präsentiert man sich dafür gleich um die Ecke, in der 360 Grad Rundum-Panoramashow, die den Besucher in dreißig Minuten durch elfhundert Jahre Geschichte jagt. Vorbild hierbei war off ensichtlich die ZDF-Serie „Unterwegs in der Weltgeschichte“, in der Hape Kerkeling in Dutzenden von Travestien gerademal 270 Minuten braucht, um durch schlappe 5 000 Jahre zu stolpern. Die Kritiken waren vernichtend. Das hielt aber niemanden in Regensburg davon ab, mit einem ähnlichen Rundum- Spaß in dieselbe Falle zu tappen. Für rund siebzehnhundert Jahre Stadtgeschichte fünf leicht verdauliche Häppchen! Ja, es macht Spaß, Christoph Süß in neununddreißig Rollen schlüpfen zu sehen. Er versteht sein komödiantisches Handwerk ohne Zweifel. Etwas befremdend aber, wenn man ihn als Marc Aurel bei der Gründung des römischen Lagers Castra Regina sagen lässt: „So, ich bin historischer Stimmung. Wir bauen genau hier. Alea iacta est“… Da muss man auf gut Lateinisch schon fragen: Cui bono? Historikern bereitet ein solcher Umgang mit Geschichte Magenschmerzen. Und historischen Laien bleibt die augenzwinkernde Ironie dieser Passage völlig verschlossen. Denn die Worte mit den „Alea“ waren jene, die der römische Geschichtsschreiber Sueton Cäsar vorm Überschreiten des Flusses Rubicon in den Mund legte. Aber lassen wir diese Korinthenkackerei? Geschichte muss zuallererst mal Spaß machen, oder bayerisch gesagt: A echte Gaudi muss her! Und historical Correctness? Es ist doch eh „Ois Chicago“! Womit wir im Obergeschoss des Museums angekommen wären. Denn so lautet das Motto einer von vierzig „Bühnen“, die die in neun Epochen unterteilte bayerische Geschichte von 1800 bis heute illustrieren. Hier sind wir im Jahr 1893 auf der Weltausstellung in Chicago gelandet. Bayern sorgt gerade für Furore: einmal durch den Nürnberger Elektropionier Schuckert, der mit einem Riesenscheinwerfer die Gebäude der Weltausstellung illuminiert. Gleichzeitig versetzt das Schlierseer Bauerntheater das amerikanische Publikum ins Dirndl- und Lederhosenfieber. A slogan was born? Schon damals: High-Tech und Lederhose?

Der junge König Ludwig II. liebte nächtliche Ausfahrten mit seinem Prunkschlitten. Gestalten ließ er sich seine Schlitten im Stil vergangener Epochen, doch schon mit elektrischem Licht. Das Museum des Hauses der Bayerischen Geschichte zeigt den ersten Nymphenschlitten, der 1875 vom Hofwagenfabrikant Johann Michael Mayer in München hergestellt wurde.

Kitschige Devotionalien zur Mystery-Tour

Auf weiteren neununddreißig „Bühnen“ zeigt man alles, von dem die Museumsmacher dachten, es mache Bayern aus. Da findet man eben jenen Teddy, der die siebenjährige Anneliese Weber in den Würzburger Bombennächten tröstete. Oder das Goggomobil, in das sich ganze Familien quetschten, um in den fünfziger Jahren über den Brenner gen Bella Italia zu tuckern. Oder eben jene durchschossene Pickelhaube, mit der der Gefreite Simon Gammel dennoch den Ersten Weltkrieg überlebte. Ja, man will sie durchaus erzählen, die Geschichte der kleinen Leute. Zugleich erstickt man sie aber mit einem Sammelsurium von willkürlich ausgewählten Exponaten: das Grabmal eines Fürstabtes, Hitlers Globus, Th eo Waigels Füller … oder der Nymphenschlitten des unvergessenen Kinis Ludwig II. Kaum zu glauben, aber bei dem fällt einem wirklich nichts Besseres ein, als sein durchgekautes Image des Exzentrikers, der einsam und schwermütig durch die eisige Winternacht jagt, ein weiteres Mal zu bedienen! Flankiert wird diese Mystery-Tour von kitschigen Devotionalien wie Sammeltassen, Bierkrügen oder einem Klodeckel mit Ludwigs Konterfei. Kein Wort darüber, dass Ludwigs bauliche und künstlerische Extravaganzen vielen kleinen Handwerkern die Existenz kosteten. Als Ludwig starb, hinterließ er einen Berg unbezahlter Rechnungen in Höhe von 5,2 Millionen Goldmark. Kein Wort über Ludwigs Bruder Otto, der bei geistig schwacher Konstitution schwer traumatisiert aus dem Krieg von 1870/71 gegen Frankreich heimkehrte. Er war es auch, nicht Ludwig, der der ungeliebten Inthronisation des Preußen Wilhelm zum ersten deutschen Kaiser in Versailles beiwohnte. Ludwig war das mit dem Regieren einfach lästig. Auch kein Wort über den Verfassungsbruch des Prinzregenten Luitpold, der schon vor und nach Ludwigs Tod bis 1912 Bayern regierte und der kurzerhand seinen Sohn als Ludwig III. zu seinem Nachfolger bestimmte. Da lebte der eigentliche bayerische König Otto noch. Allerdings schmorte er in geistiger Umnachtung von fast aller Welt vergessen bis 1916 in Schloss Fürstenried. Alles nur Korinthenkackerei? Vielleicht! Aber nichtsdestoweniger interessante Berichtigungen gängiger Mythen.

Der Erste Weltkrieg zieht über 40 Staaten in seinen Strudel. Auch in Bayern leiden die Menschen zu Hause Hunger und Not. Doch für den Krieg zu spenden ist patriotische Pfl icht. Das zeigt auch die Regensburger Nagelfi gur „Ratisbona“
Der bayerische Löwe gleich im Eingangsbereich macht jedem Besucher sofort deutlich, worum es in Bayern zu allererst geht.

Auch die einst durch Napoleon zu Bayern zwangsbekehrten Franken, muss eins in dieser Ausstellung irritieren. Wo ist die erste deutsche Eisenbahn? Da wird über Ludwig I. geschwärmt, der Bayern durch konsequente Modernisierung der Infrastruktur zu einer Nation geeint hat. Paradestück dafür der Ludwig-Donau-Main-Kanal. Vielleicht war es die Sehnsucht nach royalem Ruhm, die Ministerpräsident F. J. Strauß – Gott hab ihn selig –, so stur auf jener Betonrinne beharren ließ, die sich Rhein- Main-Donau-Kanal nennt.

Bayerisches Lebensgefühl

Zurück zur ersten deutschen Eisenbahn. Am 7. Dezember 1835 fuhr die zwischen Nürnberg und Fürth zum ersten Mal, und sie war von privaten Unternehmern initiiert worden – von Georg Platner zum Beispiel, oder Johannes Scharrer. Königlich war nur die erteilte Lizenz und gnädig durfte man das Projekt Ludwigseisenbahn nennen. Zur Eröff nung erschien seine Majestät erst gar nicht, sondern genoss bei Sohn Otto den milden griechischen Winter. Erst am 16. August 1836 schaute er mal leutselig vorbei, um anstandshalber nach dem Rechten zu sehen. Denn schließlich war er mit einer(!) Aktie an diesem Unternehmen beteiligt.

Doch verstaatlichen? Bayerns Ministerpräsident scheint von einer richtigen Staatskarosse zu träumen. Das ließe sich mit einem Staatsbetrieb natürlich wunschgerecht verwirklichen. Im Bild von links: Markus Söder, Bernd Sibler, Richard Loibl und Regensburgs Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer

Der historische Zeitstrahl der Museumskonzeption wird unterbrochen von acht „Kulturkabinetten“, die bayerisches Lebensgefühl zu vermitteln suchen. Der Maibaum, die Passionsspiele in Oberammergau, oder die Sitte des Derbleckens auf dem Münchner Nockherberg, der Stolz auf den FC Bayern. … Im letzten Kabinett wagt man sogar einen kritischen Blick auf die Zukunft. Denn die bayerische Idylle ist fragil: allerorten Monokulturen, Bodenversiegelung, Artensterben … Und auch das gute alte Dorfwirtshaus, das man auf dem Museumsgelände zur Verköstigung der Besucher so stilecht nachgebaut hat – es ist in der Realität vom Aussterben bedroht.

Das neue Museum von außen.

Letztlich stellt sich die Frage, wofür ein solches Museum und vor allem für wen? Diese teuer mit multimedialem Blink-Blink in Szene gesetzte historisierende Bayernschau, die allzu oft ins Folkloristische abdriftet! Inhaltlich erinnert sie in weiten Teilen an „Des Kaisers neue Kleider“. Anders ausgedrückt, es beschleicht einen das Gefühl, dass insbesondere der Bildungsbereich in all seinen Facetten kapituliert hat vor den modern digital times. In Schulen und Museen ist Storytelling und Fun angesagt – mehr scheint nicht mehr zumutbar. Wissen nur mehr in klitzekleinen Appetithäppchen. Damit ist das neue Regensburger Museum zumindest tauglich für einen kurzweiligen Familienausflug, aber für viel mehr auch nicht. Hoffnung, bleibt, dass sich in Zukunft noch etwas tut, woran auch Korinthenkacker Gefallen finden könnten. Denn im kommenden Jahr wird das Museum durch die Bavariathek mit ihren verschiedenen Archiven und Projektangeboten erweitert. Außerdem gibt es im Untergeschoss noch tausend Quadratmeter für Sonderausstellungen. Bis zum 8. März 2020 zeigt man dort gerade „100 Schätze aus 1000 Jahren“. Der Titel lässt hoff en, dass man sich hierbei an dem renommierten Historiker Neil MacGregor und seinem Buch „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ orientiert hat. Geradezu genial und vor allem fesselnd gelingt es dem, an kleinen Dingen des Alltags die ganze Fülle und Widersprüchlichkeit ihrer Zeit zu entfalten.

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