Editorial von Wolf-Dietrich Weissbach | Ausgabe 2/2019

Editorial

Vor kurzem … gut, es ist schon rund ein Jahr her … begann laut einem führenden deutschen Nachrichtenmagazin der Physiker an der Harvard Universität, Max Tegmark, daselbst auf einer Gelehrten-Tagung zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) sein Statement: „Zuerst die schlechte Nachricht. Die Menschheit rast auf einen Abgrund zu.“ Der Berichterstatter vermerkt eine künstlerische Pause. „Und jetzt die gute: Es sitzt niemand am Steuer.“ Es geht hier übrigens nicht um autonomes Fahren, obwohl solche Pointen den Paradoxienreitern der Digitalbranche zuzutrauen wären.

Nun, Max Tegmark ist nicht irgendwer. Er ist Mitbegründer des „Future of Life Institutes“ und gilt keineswegs als jemand, der KI und Digitalisierung in Bausch und Bogen ablehnte. Es gibt entschiedenere Gegner, die jedoch – den Eindruck kann man kaum „weg-wischen“ – allenfalls als Pausenclowns für Aufmerksamkeit sorgen. Kritik an der Digitalisierung fi ndet – das können wir beurteilen – zumindest in der bayerischen Landespolitik nicht statt; höchstens pflichtschuldig in gelegentlichen Nebensätzen. Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing vor wenigen Wochen sind sich die kulturpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion (ohne AfD) denn auch weitgehend einig, dass die Kultur, die kulturellen Einrichtungen, Museen, Archive, Theater, überhaupt künstlerische Schaffensprozesse digital aufgerüstet werden müssen. Die Frage „Wozu eigentlich?“ wird jedoch praktisch nicht gestellt. Müssen die Bestände in den Depots wirklich digital erfasst werden? Gibt es nicht Wichtigeres zu unterstützen als malende Roboter, Computerspiel-Kultur, Hashtag- oder Bot-Literatur („Digitale Literatur ist Literatur, die von Menschen unter digitalen Bedingungen produziert wird und die mediiert.“ Christiane Frohmann)? Müssen uns Theater in eine digitale Erlebniswelt entführen? Und dann stellt die Digitalisierung auch noch die traditionelle Vorstellung des genialen Musikers und Interpreten radikal in Frage und wir bekommen Musik serviert, die wir laut den Ergebnissen von landestypischen Algorithmen ohnehin am liebsten hören.

Ach, fast hätten wir es vergessen: Kultur hat ja neuerdings wieder eine klare Aufgabe: Sie soll der Erhaltung der Demokratie dienen. Das ist ein Wort! Da ermöglicht die Digitalisierung den totalen Überwachungsstaat, beschehrt uns Fake News, erzieht uns zum idealen Kunden, ermöglicht einigen Unternehmen, uns besser zu kennen als wir uns selbst, zerstört im großen Stil Arbeitsplätze, um uns dann einige lousy jobs als Ersatz anzubieten, zerstört Demokratie, wo es den Profitinteressen nur dient, und dann wird uns als Gegenmittel genau das angeraten, was all das noch optimiert. Es gibt Stimmen, die meinen, die Digitalisierung ermöglichte eine zweite Aufklärung. Nur, hat denn die erste Aufklärung schon wirklich funktioniert?

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