Kindheit in der Nachkriegszeit
Fotoausstellung im Deutschordensmuseum Bad Mergentheim
Text: Antje Roscoe
Wer heute zwischen 70 und 85 Jahre alt ist, hat seine Kindheit im Krieg und in der Nachkriegszeit verbracht. Trennung, Flucht oder Vertreibung, ein zerstörtes Zuhause, Luftschutzbunker und Tod gehörten dazu. Hunger und Kälte werden sie noch einige Zeit begleiten. Das muss man sich vergegenwärtigen, wenn man verstehen will, wie Kinder in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind. Der Krieg ist aus, aber nichts ist gut. Es dauert Jahre, bis die größte Not überwunden ist – ablesbar an Fotografien aus den Jahren 1945 bis 1955.
„Kindheit in der Nachkriegszeit“ setzt genau hier an. Die Fotografien sind Zeitdokumente aus der Sammlung des Historikers Dr. John Provan, der sich seit den 80er Jahren thematisch mit den Amerikanern in Deutschland beschäftigt. Sie stammen teils aus Archiven in den USA oder waren bei der Auflösung von Standorten der Amerikaner in Deutschland zurückgelassen worden. Weitere Bilddokumente hat Kulturmanager Michael Wahle aus Archiven und Auktionen erworben. Etwa 80 Aufnahmen mit Kindern und Jugendlichen umfasst die Ausstellung, die in diesem Umfang laut Kuratorin Maike Trentin-Meyer in Deutschland noch nicht zu sehen gewesen waren.
Bedeutend sind sie nicht nur deshalb, weil es überhaupt nur wenige Fotografien aus dieser Zeit gibt. Sie dokumentieren authentisch die Lebenssituation der Kinder und die Projekte der Amerikaner, ihre Politik der Sozialisierung hin zu Demokratie, Unabhängigkeit und Weltoffenheit. Angefangen bei den 10 Millionen Care-Paketen, die bis 1960 geschickt wurden und den Schulspeisungen bis hin zu den GYA – German Youth Activity – Projekten auf denen die heutige Jugendarbeit in Deutschland basiert. Büchereien, Chorsingen, Hand- und Werkarbeiten sind dokumentiert. Auch Seifenkistenrennen kamen mit den Amerikanern nach Deutschland.
30 Fotos aus der Region und dem Museumsbestand ergänzen die Ausstellung. Das sind die Geschichten. Trentin-Meyer unterscheidet Zeitdokumente und Geschichten: Bei den Fotografien der amerikanischen Beobachter sind in der Regel weder Fotograf noch Details zum Motiv bekannt. Sie zeigen exemplarisch Mangelernährung, Notquartiere, Kinderlandverschickung, Vermisstenkarteien, Kinder, die wie die Erwachsenen arbeiten. Kinder umringen die Soldaten. Und sie spielen weiter mit Kriegsspielzeug. Die Bilder müssen ganz für sich sprechen. Das tun sie. Es bleiben allerdings viele Fragen.
Sehr persönlich wird es dagegen bei den Aufnahmen aus der Region. Ein Dutzend Leihgeber haben Fotos und Erinnerungsstücke aus ihrer Kindheit dem Deutschordensmuseum zur Verfügung gestellt, zusammen mit der dazugehörigen Geschichte. Fast alles wird als Schenkung in den Bestand übergehen, freut sich Trentin-Meyer, die mit der Dokumentation regionaler Erinnerungen wertvolle Weitsicht bewiesen hat. Ein Schatz an Erinnerungen aus erster Hand!
Diese Erinnerungen und Familiengeschichten sind nun gesichert und dokumentiert. Mit ihnen kann der eigenen Familiengeschichte nachgespürt werden. Im Begleitprogramm werden Führungen mit Zeitzeugen-Gesprächen ermöglicht, die einzigartige Eindrücke und Begegnungen mit der Nachkriegszeit vermitteln können. Ein unschätzbarer Mehrwert – gerade für die Enkel- und Ur-Enkel-Generation.
Die Wohnbaracken in Waldenburg sind zu sehen, das Wertheimer Flüchtlingslager Reinhardshof, von wo die Flüchtlinge mit großen Militärlastwagen auf die Dörfer verteilt wurden. Sie waren nicht willkommen. Eine Küche im Freien – die Not ist anfangs noch groß. Weihnachten 1947 wurde in Distelhausen und Bad Mergentheim wieder Theater gespielt. In der Tauberbischofsheimer Jugendherberge traf man sich zum Chorgesang. Die zum Mantel umgearbeitete Uniform, angestückelte Kleidchen, die zum Sandeimer umgearbeitete Gasmaske – es sind viele Details die die Großformate bei genauer Betrachtung offenbaren.
Dazu kommen diverse Objekte wie das Pappköfferchen von Ruth Schlumberger aus Niederstetten, mit dem sie in Kassel immer in den Luftschutzbunker gezogen war. Jetzt birgt es Erinnerungsschätze das Mathematikheft aus der 11. Klasse, 1947 aus Feldpost-Vordrucken und Pappe zusammengeheftet, das Seifenpapier aus einem Care-Paket und die Blockflöte, die sie 1949 zum Abitur geschenkt bekam. Es waren damals große Kostbarkeiten – sie sind es heute wieder. Mit Kindern, die Klavier spielen und einer Puppe samt Puppenwagen zu Weihnachten 1953 zeichnet sich der erste Wohlstand ab.
„Kindheit in der Nachkriegszeit“, bis 9. März 2014 – Informationen zu Führungen und Begleitprogramm unter www.deutschordensmuseum.de